UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN VON BURNOUT UND DEPRESSIONEN

Auch wenn das Burnout-Syndrom nicht als Krankheit anerkannt ist, leiden Betroffene häufig an ähnlichen Symptomen wie bei einer krankheitswertigen Depression. Im Interview erklärt Prof. PMU Dr. med. Isa Sammet, worin sich die beiden Störungsbilder gleichen und unterscheiden.

 

 

 

 

 

Prof. PMU Dr. med. Isa Sammet Bereichsleitung Oase und Ambulatorien Chefärztin

Frau Prof. Dr. Sammet, wo liegen die grundsätzlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Burnout und Depression?
Menschen mit Burnout oder depressiven Störungen haben oft ähnliche Beschwerden. Beim Burnout-Syndrom stehen die chronische Erschöpfung und die reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Vermehrt kommt es zudem zu psychosomatischen Beschwerden wie Verdauungsproblemen, Schmerzen oder erhöhter Infektanfälligkeit. Aber auch Symptome, die für Depression typisch sind, nämlich die gedrückte Stimmung, der Verlust von Interesse und Freude sowie die Verminderung des Antriebs, Gefühle von Schuld und Versagen, Gereiztheit und Stimmungsschwankungen sowie Schlafstörungen, kommen bei Burnout vor. Insofern ist der Schwerpunkt der Beschwerden lediglich ein anderer.

Was das Burnout-Syndrom von der depressiven Störung unterscheidet, ist das Vorliegen eines klaren Ursachenkonzepts. Burnout-Patienten sind durch dauernden beruflichen Stress so belastet, dass sich ein Zustand physischer und emotionaler Erschöpfung mit Reduktion der Leistungsfähigkeit einstellt. Der Begriff der Depression hingegen fasst eine Gruppe von Störungsbildern zusammen, die eine multifaktorielle Genese aufweisen. Im Zusammenspiel können medizinische Faktoren, körperliche Krankheiten, Persönlichkeitszüge, genetische Faktoren, Traumatisierungen oder soziale Belastungen die Krankheit auslösen und aufrechterhalten.

Warum ist das Burnout-Syndrom im Gegensatz zur Depression bisher nicht als Krankheit anerkannt?
Tatsächlich wird das Burnout-Syndrom in der noch gängigen amtlichen Diagnoseklassifikation ICD-10 der WHO nicht explizit erwähnt. In der neuen Version ICD-11 ist das Burnout-Syndrom zwar genannt, aber nicht als medizinische Erkrankung definiert. Vielmehr wird es als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz beschrieben und unter dem Abschnitt QD8 «Probleme in Verbindung mit Arbeit oder Arbeitslosigkeit» eingeordnet.

In der Behandlung von Burnout-Patienten zeigt sich in vielen Fällen eine erhebliche Schwere sowie eine besonders lange Dauer der Beschwerden. Insofern kann die Tatsache, dass Burnout nicht als Erkrankung eingestuft ist, aus medizinischer Sicht infrage gestellt werden. Im Hinblick auf den als ursächlich genannten chronischen Stress am Arbeitsplatz ist auch zu hinterfragen, ob nicht auch Faktoren, die nicht berufsbedingt sind, etwa die Pflege von Angehörigen, zu einem Burnout führen können.

Dass das Burnout-Syndrom noch keine eigene Erkrankung nach ICD-11 darstellt, könnte darauf zurückzuführen sein, dass die empirische Evidenz noch nicht ausreichend belegbar macht, ob es sich um ein eigenes Krankheitsbild oder um eine Unterform der Depression handelt. Zudem sei auch angemerkt, dass mit der Einordnung des Burnout-Syndroms als eigenständige Erkrankung auch das relevante Thema der Anerkennung als Berufserkrankung auftreten könnte – mit entsprechenden volkswirtschaftlichen Folgen.

Hat die fehlende Anerkennung als Krankheit auch einen Einfluss auf die Diagnostik?
Beim Burnout-Syndrom gibt es keine ganz eindeutigen diagnostischen Kriterien. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde DGPPN empfiehlt, dann von einem Burnout zu sprechen, wenn sich hohe Anforderungen der Arbeitswelt in Verbindung mit vegetativen Stresssymptomen äussern. Die Störung muss mehrere Wochen bis Monate anhalten und darf sich nicht in kurzen Erholungsphasen zurückbilden.

Wie entwickelt sich ein Burnout typischerweise? Gibt es Frühwarnzeichen, die Betroffene oder ihre Umgebung erkennen können?
In der Regel verläuft die Burnout-Erkrankung in typischen Stadien. Ausgangspunkt ist oft ein hohes gefordertes berufliches Leistungsniveau. Betroffene verspüren die Notwendigkeit, sich zu beweisen. Wenn dies nicht gelingt, kann es zum Beispiel zu Tadel oder Abmahnungen seitens der Vorgesetzten kommen. Betroffene versuchen dann, die erwarteten Leistungen umso bemühter zu erbringen, und beginnen dabei, eigene Bedürfnisse zu vernachlässigen. Führt dies nicht zu einem positiven Ergebnis, kommt es in der nächsten Phase zu Flucht oder Rückzug. Betroffene reduzieren ihre Ziele und vermindern ihr Engagement. Dies zieht zirkulär neue Probleme nach sich, die Betroffene dann mit Isolation und Passivität beantworten, was einen weiteren Verlust an Initiative und Flexibilität sowie eine Verflachung des beruflichen und sozialen Lebens zur Folge hat. Es entsteht eine innere Leere und das Gefühl, die eigene Identität und Persönlichkeit verloren zu haben. Gerade jene Menschen, die initial am ehrgeizigsten sind und sozusagen am meisten für die Arbeit brennen, laufen am ehesten Gefahr, irgendwann auszubrennen.

Angehörige können grundsätzlich in allen Phasen auf die Veränderung des Erlebens und Verhaltens einer betroffenen Person reagieren und sie darauf hinweisen. Meistens ist jedoch wegen der hohen Leistungsmotivation keine schnelle Einsicht in diese Prozesse zu erreichen.

Burnout wird wie erwähnt als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz definiert. Welche spezifischen Faktoren begünstigen die Entstehung eines Burnout-Syndroms?
Viele Menschen können auch unter starkem Zeitdruck und bei hoher Arbeitslast gut arbeiten – sofern sie am Arbeitsplatz mitbestimmen dürfen und für ihre Tätigkeit Anerkennung bekommen. Sind diese Bedingungen jedoch nicht gegeben, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Burnouts erheblich. Auch fehlende Unterstützung oder Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen wirken sich sehr ungünstig aus.

Eine Expertenbefragung von 2015 hat ergeben, dass folgende Bedingungen ein Burnout-Syndrom begünstigen: hohe Anforderung (91 % Übereinstimmung), mangelnde Kontrolle über die Arbeitsabläufe (54 %), interpersonelle Probleme wie Belästigung oder Diskriminierung (50 %), mangelnde Unterstützung (51 %), Veränderungen im Betrieb mit Arbeitsplatz-Unsicherheit (31 %) sowie erlebte Ungerechtigkeit (26 %). Dies bedeutet, dass sich wohl ein erheblicher Teil der Burnout-Fälle vermeiden liesse, wenn sich Unternehmen an den genannten Faktoren orientieren und entsprechende Umstellungen ihrer Arbeitsprozesse vornehmen.

Insgesamt spielt aber für die Zunahme der Burnout-Häufigkeit der Aspekt der Arbeitsverdichtung eine besondere Rolle. Aus einer schon älteren Studie aus dem Jahr 2000 der CFO ist bekannt, dass die Schlafdauer in den westlichen Industrienationen im letzten Jahrhundert um zwei Stunden abgenommen hat, hingegen ist die Arbeitsstunden-Produktivität von 1960 bis 2000 um 255 % angestiegen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Einer von mehreren Faktoren ist vermutlich die Digitalisierung, die nicht zuletzt zu einer ständigen Erreichbarkeit, einer Beschleunigung von Prozessen sowie einer einfacheren Verteilung von Informationen auf viele Empfänger geführt hat.

Natürlich sind auch persönliche Faktoren für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms relevant. Dies lässt sich schon daraus ableiten, dass nicht alle Personen unter den gleichen Bedingungen an einem Burnout-Syndrom erkranken. Hier spielen – ebenfalls nach Expertenbefragung von Wong (2015) – Persönlichkeitszüge wie erhöhte Vulnerabilität (43 %) eine Rolle, ebenso psychische Vorerkrankungen (40 %) sowie belastende soziale Umstände (37 %).

Inwieweit unterscheiden sich die therapeutischen Ansätze für Burnout und Depression? Grundsätzlich geht es beim Burnout-Syndrom wie auch bei der Depression darum, die betroffenen Menschen zunächst zu entängstigen und ihnen klarzumachen, dass ihre Antriebslosigkeit und innere Leere krankheitswertig sind und nicht schnell überwunden werden können, wenn man sich nur genug anstrengt. Dies impliziert auch, Burnout-Patienten nicht zu früh wieder zur Arbeit zu schicken oder schwer depressive Patienten nicht aufzufordern, sich einfach mit schönen Dingen abzulenken – denn genau dies ist ihnen ja nicht möglich. Dies ist ein Behandlungsfehler, sowohl im Umgang mit Depressionen als auch mit der Burnout-Symptomatik. Die Betroffenen würden sich dann als versagend erleben, was die Symptomatik noch verstärken dürfte. Vielmehr gilt es, die Patienten zu beruhigen und erst allmählich therapeutisch ihre Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu analysieren und alternative Lösungen oder Verhaltensweisen zu erarbeiten.

Wie bei allem psychischen Erkrankungen und Beschwerden ist die Grundlage jeder Behandlung eine individualisierte Diagnostik. Es gilt, ungünstige dysfunktionale habituelle Beziehungsmuster zu erkennen, die den Menschen immer wieder in ähnliche Schwierigkeiten bringen, und ihn in die Lage zu versetzen, Änderungen zu realisieren. Auch sämtliche weiteren Faktoren, welche die Symptomatik begünstigen, müssen bei beiden Krankheitsbildern gesamtheitlich berücksichtigt werden.

Bei Burnout-Patienten ist es wesentlich zu beachten, auf der Basis welcher persönlichen Arbeitsstile die Überarbeitung zustande gekommen ist. Dies kann sehr unterschiedlich sein: Manche Betroffene können einfach nicht Nein sagen, haben das Bedürfnis, immer allen anderen helfen zu müssen, und können sich bei der Arbeitszeit nicht begrenzen. Andere wiederum benötigen die übermässige Arbeitstätigkeit zur Stabilisierung ihres leistungsfähigen Selbstbildes. Bei manchen ist die Flucht in die Arbeit das Resultat unzufriedenstellender familiärer Verhältnisse. Andere arbeiten so viel, weil sie übermässig ordentlich sind und dadurch ihre Arbeit nicht in der vorgesehenen Zeit schaffen können. Wieder andere sind in einem sehr begeisterungsfähigen und wetteifernden Stil unterwegs und ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Dies sind alles Anhaltspunkte, um herauszufinden, an welchen Stellen mit den Betroffenen gearbeitet werden kann.

Eine Besonderheit bei den Burnout Patienten ist, dass – sofern möglich und vom Betroffenen gewünscht – konkrete Kontakte mit den Arbeitgebern hergestellt werden können. Unter anderem werden dabei auch Konflikte moderiert oder unter sozialarbeiterischer Mitarbeit andere Berufsfelder für den Patienten erkundet.

Wann ist eine medikamentöse Behandlung bei Burnout angezeigt?
Es gibt keine spezifischen Psychopharmaka, die für ein Burn-out- Syndrom indiziert sind. Wenn aber Symptome bestehen, die einer depressiven Störung ähneln, wie zum Beispiel Schlafstörungen,so können Antidepressiva mit entsprechendem Wirkprofil unter Beachtung der Nebenwirkungen eingesetzt werden.

Wie wichtig ist die soziale Unterstützung in der Behandlung von Menschen mit Burnout-Syndrom oder Depressionen?
Ohne Ausnahme ist bei allen psychischen Erkrankungen die soziale Unterstützung ein wesentliches Kriterium, um die Heilung zu unterstützen. Dies gilt auch für Burnout-Betroffene sowie depressive Patienten. Hierbei ist es wesentlich, die Bezugspersonen zu informieren, dass sich Heilungsprozesse über längere Zeit hinziehen können, damit nicht eine – durchaus nachvollziehbare – Ungeduld im unmittelbaren Umfeld entsteht und diese dann die Symptomatik des Betroffenen noch verstärkt. Bei Bedarf können sich Angehörige auch selbst Unterstützung in entsprechenden Angehörigengruppen suchen.

Welche präventiven Massnahmen können ergriffen werden, um Burnout zu verhindern?
Arbeitgeberseitig können die Verantwortlichen sich bemühen, Eigenbestimmtheit und Wertschätzung in den Arbeitsprozessen zu optimieren und zu maximieren. In konkreten Fällen geht es darum, individuelle Lösungen zu finden, damit der Mitarbeitende entsprechend seinem Leistungsvermögen und seiner Kompetenz bestmöglich eingesetzt werden kann.

Auf individueller Ebene gibt es für Betroffene vielfältige Möglichkeiten, um Präventivstrategien zu entwickeln. Zentral sind zunächst unter anderem die Akzeptanz des Problems, die Suche nach Helfenden, der achtsame Umgang mit der Zeit sowie der Versuch, das Anspruchsniveau zu senken und den Perfektionismus abzubauen. Hier stehen im verhaltenstherapeutischen Kontext zahlreiche Übungen und Strategien zur Verfügung, die spezifisch gelernt und angewendet werden können.

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