GLÜCKLICH UND ZUFRIEDEN BIS INS HOHE ALTER?

Wenn es um die Lebenszufriedenheit geht, zeigen Studien in der Schweiz klare Unterschiede zwischen den Generationen. Ältere sind tendenziell zufriedener als Jüngere. Dass die Realität etwas komplexer ist, erklärt Alters- und Generationsforscher Prof. Dr. François Höpflinger.

Prof. Dr. François Höpflinger em. Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich Mitglied der akademischen Leitung des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich

Betrachtet man die allgemeine Lebenszufriedenheit älterer Menschen in der Schweiz im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte, fällt auf, dass sie sich nur sehr geringfügig verändert hat. Schon in den späten 1980er-Jahren zeigten Analysen zur Lebenslage älterer Menschen eine hohe Lebenszufriedenheit. Später durchgeführte Befragungen lassen den Schluss zu, dass sich auch im neuen Jahrtausend ein ähnliches Bild zeigt. Selbst ein einschneidendes Grossereignis wie die Covid- Pandemie beeinträchtigte primär die Lebenszufriedenheit jüngerer Menschen, während jene der älteren Bevölkerung auf hohem Niveau stagnierte.

Auch der jüngste Obsan-Bericht des Schweizerisches Gesundheitsobservatoriums zeigt eine hohe Lebenszufriedenheit bei den älteren Personengruppen. Derartige Studien sind jedoch stets mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten. Prof. Dr. François Höpflinger beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem psychischen Wohlbefinden älterer Menschen. Im Gespräch blickt er hinter die Zahlen und erklärt auch, warum es mehr spezifische Behandlungsangebote wie jenes der Privatklinik Aadorf braucht.

Prof. Höpflinger, wie gut geht es der älteren Bevölkerung in der Schweiz?
Bei den Menschen im Rentenalter geht es der Mehrheit im Allgemeinen gut. Die Lebenszufriedenheit ist höher als bei den Erwerbstätigen. Und es gibt tatsächlich keine Hinweise darauf, dass sich die psychische Gesundheit bei der älteren Bevölkerung in den letzten 30 Jahren verschlechtert hat.

Gilt dies auch für ältere Menschen, die noch berufstätig sind?
Im Arbeitsleben ist es je nach Branche schwierig geworden. Ältere Arbeitskräfte haben zum Teil sehr gute Arbeitsbedingungen, solange sie keine Kündigung erfahren. Gerade bei den Arbeitskräften der Generation 50+ gibt es eine deutliche Polarisierung zwischen einer grossen Mehrheit, der es relativ gut geht, und einer kleinen Minderheit, die arbeitslos ist, zum Teil aufgrund von depressiven Symptomen. Was sich gegenseitig noch verstärkt.

Dann ist die Arbeitslosigkeit der grosse Faktor bei psychischen Problemen jener Altersgruppe, nicht zum Beispiel der Druck im Beruf?
Es gibt neben der Arbeitslosigkeit eine Menge weiterer Faktoren für eine schlechte psychische Gesundheit bei älteren Menschen. Finanzielle Einschränkungen spielen eine Rolle, das Fehlen von Partnerbeziehungen oder Vertrauenspersonen, Partnerverlust durch Verwitwung, Vereinsamung, das sind typische Risikofaktoren. Ebenso gewisse Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus.

Zahlreiche Studien zeigen, dass die älteren Generationen eher zufrieden mit dem Leben sind als die jüngeren. Woran liegt das?
Oft ist es so, dass mit dem Eintritt ins Rentenalter viele Stressfaktoren und Leistungsanforderungen entfallen. Wenn man nicht unter Zeitdruck und Stress ist, ist die Lebenszufriedenheit höher. Das liess sich auch bei Untersuchungen mit Langzeitarbeitslosen beobachten: Mit dem Eintritt ins Rentenalter ist es ihnen psychisch besser gegangen, denn die anderen Menschen in ihrer Altersgruppe waren ja dann auch arbeitslos. Abgesehen davon hatten sie Anrecht auf Ergänzungsleistungen, waren also finanziell besser abgesichert.

Im Alter sind es vor allem zwei Faktoren, welche die Lebenszufriedenheit erhöhen können. Das sind einerseits geglückte Biografien – man hat fleissig gearbeitet, doch nun hat man es hinter sich, was entlastend wirken kann. Andererseits werden im Alter zum Teil die Lebensansprüche reduziert. Man ist rascher zufrieden und will nichts verändern. Im Grunde genommen ist eine hohe Lebenszufriedenheit gesellschaftlich gesehen nicht nur ein guter Indikator. Auf der anderen Seite muss bei jungen Leuten eine höhere Unzufriedenheit nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein – sie haben noch Ziele und möchten etwas erreichen.

Bei Altersgruppenvergleichen muss man aber immer einen gewissen Selektionseffekt berücksichtigen, der sich bei älteren Menschen zeigt. Die Glücklichen leben länger, zeigen auch eine stärkere Resilienz. Das widerspiegelt sich natürlich in den Zahlen.

Gemäss Obsan-Studie sind die 65-Jährigen und Älteren zwar seltener von psychischen Problemen betroffen, gehen diese aber, wenn sie auftreten, deutlich weniger aktiv an als jüngere Menschen und suchen zum Beispiel weniger schnell den Arzt auf. Woran könnte das liegen?
Diese Beobachtungen findet man zum Beispiel auch bei älteren Alkoholikern. Ein Grund ist sicher, dass es im Rentenalter deutlich weniger Kontrollmechanismen gibt als im Arbeitsleben. Es findet keine Leistungskontrolle mehr statt. Wenn jemand im Arbeitsleben psychische Einschränkungen oder auch Alkoholismus zeigt, dann wird das sichtbar, im Verhalten und in der Leistung. Also kann oder muss man reagieren. Nach der Pensionierung ist dies nicht mehr der Fall.

Aber eine ältere Person, die eine Depression hat, wartet tendenziell länger, bis sie sich Hilfe sucht, als eine jüngere Person, oder?
Ja, das gilt aber vor allem bei Leuten mit einem tiefen Bildungsniveau. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass psychische Probleme stark mit dem Bildungshintergrund assoziiert sind. Da zeigt sich die fehlende Gesundheitskompetenz, die fehlende Bereitschaft, Hilfe anzunehmen oder sich beraten zu lassen.

Stehen im Alter zudem körperliche Beschwerden stärker im Vordergrund?
Absolut. Bei älteren Menschen, auch bei solchen, die noch im Arbeitsleben stehen, werden psychische Probleme wohl deutlich häufiger somatisch interpretiert als bei jungen. Denn somatische Probleme haben eine höhere Akzeptanz als psychische. Auch die ältere Generation spricht lieber über Rückenschmerzen als über psychische Erkrankungen.

Die Privatklinik Aadorf fokussiert sich unter anderem auf psychotherapeutische Behandlungen, die spezifisch auf die Situation von älteren Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgerichtet sind. Wie wichtig sind solche Angebote?
An sich wären solche Angebote wichtig. Doch es besteht eine riesige Lücke – in Bezug auf die Behandlungen und noch stärker in Bezug auf deren Finanzierung. Bei Menschen im Erwerbsalter laufen Angebote über die IV und werden über Integrationsprogramme sichtbar. Im Alter gibt es kaum mehr finanzielle Unterstützung. Man weiss, dass sich Depressivität gerade im hohen Lebensalter negativ auf die Kosten auswirkt. Depressive Personen verursachen mehr Gesundheitskosten, werden häufiger und schneller demenzkrank. Im Gegensatz zum Arbeitsleben, wo psychische Probleme direkte Kosten auslösen, sind es im Rentenalter vornehmlich verdeckte Kosten.

In Fachkreisen wird immer wieder diskutiert, ob es spezifische Angebote für ältere Menschen mit psychischen Problemen braucht. Was sicher notwendig ist, sind gewisse Anpassungen. Die Wechselbeziehungen zwischen somatischen und psychischen Beschwerden werden im Alter tendenziell stärker, hier braucht es mehr Aufmerksamkeit. Auch die Ursachen müssen genau angeschaut werden. Ist es ein Partnerverlust, der nicht bewältigt werden kann? Sind es plötzliche Erinnerungen an die Kindheit, wie sie zum Beispiel bei ehemaligen Verdingkindern auftauchen können? Generell wird die Biografiearbeit mit dem Alter immer wichtiger. Und auch der Medikamentenkonsum sollte stärker beachtet werden.

Apropos Medikamentenkonsum: Von allen Altersgruppen nehmen die 55- bis 64-Jährigen am häufigsten täglich Antidepressiva ein, die Obsan-Studie zeigt hier einen Anteil von 6,3 %. Gibt es dafür spezielle Gründe?
Eine Erklärung könnte sein, dass depressive Menschen früher häufiger Suizid begangen haben. Aus dem verstärkten Aufkommen von Antidepressiva resultierte zwar keine höhere Inzidenz, aber eine höhere Prävalenz, weil die Leute älter werden und die Medikamente auch entsprechend länger nehmen. Dazu kommt, dass ein Teil der älteren Generationen lange Zeit primär mit Antidepressiva behandelt worden ist. Andere Methoden wie die kognitiven Verhaltenstherapien kamen erst später auf.

Diskutiert wird auch, ob die Wirkung von gewissen Medikamenten im Alter abnimmt. Oder dass sich Interaktionen mit anderen Medikamenten negativ auswirken. Polymedikation ist ein Thema, das man stärker beachten müsste.

Wie wichtig ist das Arbeiten für die psychische Gesundheit? Kann das Wegfallen einer Aufgabe im Alter nicht auch eine Belastung sein?
Wenn es ein unerwünschtes Wegfallen ist, dann sicher. Langzeitarbeitslose haben die grösste psychische Belastung. Aber es kann auch sein, dass sie arbeitslos geworden sind, weil sie psychische Probleme hatten.

In Bezug auf die Pensionierung dachte man lange Zeit, dass ein solches Wegfallen von Tätigsein die Lebenszufriedenheit beeinträchtigen würde und zu Depressionen führen könnte. Doch das scheint nicht der Fall zu sein, zumindest nicht, sofern die Pensionierung ein geplanter Schritt ist.

Es gibt Hinweise, dass vor allem Menschen, die sozial nicht aktiv sind, nach der Pensionierung stärker unter Depressionen leiden. Auch bei der Freiwilligenarbeit gibt es eine klare Korrelation zwischen depressiver Stimmung und Engagement. Was wiederum wechselseitig sein kann: Die Depressiven engagieren sich weniger und werden dadurch nicht unbedingt fröhlicher. Umgekehrt erhalten jene, die sich engagieren, eher Unterstützung. Dasselbe gilt für die meisten Sozial- oder Partnerbeziehungen. Das sind immer Wechselbeziehungen. Sind die Leute in einen solchen Teufelskreis geraten, ist es häufig sehr schwierig, wieder herauszufinden.

Welchen Einfluss haben Entwicklungen wie der demografische Wandel, die Veränderung der Arbeitswelt oder die Erhöhung des Rentenalters auf die psychische Gesundheit von älteren Arbeitnehmenden?
Die Leistungsfähigkeit und die allgemeine Gesundheit von Menschen über 55 – oder auch 60 oder 70 – sind gestiegen. Gemäss dieser Datenlage müsste man das Rentenalter eigentlich erhöhen. Aber dafür findet sich im Moment keine Mehrheit.

Auch im internationalen Vergleich ist die Leistungsfähigkeit von älteren Arbeitnehmenden in der Schweiz sehr hoch. Wir haben hierzulande zudem eine gute Gesundheitsversorgung. Die Arbeitsbedingungen sind ebenfalls gut, es gibt Entlastungsmöglichkeiten und die Gelegenheit, gegen Berufsende die Arbeitszeiten etwas zu reduzieren. Wenn man sich das leisten kann.

Hier zeigt sich die zu Beginn erwähnte Polarisierung. Einer grossen Mehrheit geht es psychisch gut, sowohl während der Arbeit als auch nach der Pensionierung. Einer Minderheit geht es nicht so gut. Und diese Minderheit nimmt nicht unbedingt zu, aber sie überlebt länger, es gibt mehr ältere Menschen – und dadurch auch mehr Fälle. Dieses Auseinanderfallen von Inzidenz- und Prävalenzraten ist gerade im Bereich der psychischen Gesundheit zum Teil dramatisch.

Sie sind Mitglied im Think-Tank von focus50plus, einem Netzwerk, das sich dafür einsetzt, die Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Mitarbeitenden zu fördern. Was können Arbeitgebende tun, damit ältere Arbeitnehmende langfristig psychisch gesund bleiben?
Es gibt die betriebliche Gesundheitsförderung, die in gewissen Betrieben sehr aktiv umgesetzt wird. Bei Köchen können gute Lüftungssysteme Asthma vorbeugen. Es gibt Hilfssysteme, um einseitige Tragelasten und Rückenprobleme zu verhindern, zum Beispiel in der Pflege beim Umplatzieren von schweren Patienten. Was körperliche Belastungen betrifft, ist man diesbezüglich relativ weit.

In Bezug auf psychische Belastungen wird die betriebliche Gesundheitsförderung noch nicht so ausgeprägt angewendet. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den herrschenden Fachkräftemangel der Stress erhöht wird. Weniger Menschen müssen die gleiche oder sogar mehr Arbeit leisten. In gewissen Berufen muss man sich zudem mit mehr Bürokratie, steigender Schnelligkeit und Modernisierung auseinandersetzen. Häufig finden Arbeitgebende nur wenige Möglichkeiten, die älteren Arbeitnehmenden vorbeugend zu unterstützen. Entsprechend wichtig sind Möglichkeiten zur Entlastung und zur Reduktion des Arbeitspensums – gerade am Ende des Berufslebens.

 

Quelle:
Peter, C., Tuch, A. & Schuler, D. (2023). Psychische Gesundheit – Erhebung Herbst 2022. Wie geht es der Bevölkerung in der Schweiz? Sucht sie sich bei psychischen Problemen Hilfe? (Obsan Bericht 03/2023). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.

https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/2023-05/Obsan_03_2023_BERICHT.pdf

Prof. Dr. François Höpflinger (*1948) studierte an der Universität Zürich Soziologie und Sozialpsychologie Danach forschte er intensiv zu Familiensoziologie und Sozialdemografie. Seit 1991 Forschung zu Altersfragen, später ergänzt durch Forschung zu Generationenfragen (z. B. zu Grosselternschaft). 1994 wurde er zum Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich ernannt. In den 2000er-Jahren war er zudem verstärkt in der Praxisumsetzung von Alters- und Generationenprojekten tätig. Zu seinen aktuellen Forschungsthemen zählen unter anderem der Strukturwandel des Alters, das Wohnen im Alter sowie die Arbeit in späteren Erwerbsjahren. Seit 2013 ist Prof. Dr. François Höpflinger Mitglied der akademischen Leitung des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich. Zudem ist er Mitglied im wissenschaftlichen Think-Tank des Arbeitgeber- Netzwerks focus50plus zur Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Mitarbeitenden.

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