DER SCHMALE GRAT: ESSSTÖRUNGEN IM LEISTUNGSSPORT
Das unerbittliche Streben nach mehr Leistung und Perfektion im Leistungssport kann in einigen Fällen zu problematischen Verhaltensmustern führen, etwa in Form von auffälligem Essverhalten oder gar Essstörungen. In gewissen Risikosportarten ist eine stark erhöhte Prävalenz von Essstörungen zu verzeichnen.
Die Welt des Sports bringt Heldinnen und Ikonen hervor. Sie fliegen durch die Lüfte, brechen Rekorde, überwinden Belastungsgrenzen und lassen uns staunen. Was beim Zuschauen oft verborgen bleibt, sind die inneren Kämpfe, die viele Athletinnen und Athleten auf ihrem Weg führen. Dieser Weg endet in einigen Fällen nicht nur mit der ersehnten Medaille, sondern auch mit einer Essstörung. Viele Spitzensportlerinnen und Spitzensportler bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen einer gezielten Ernährung und einem gestörten Essverhalten.
Studien zeigen, dass Athletinnen und Athleten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Essstörungen aufweisen. Besonders in bestimmten Risikosportarten ist die Prävalenz signifikant höher. Dazu zählen ästhetische Sportarten wie Turnen oder Eiskunstlauf, Ausdauerdisziplinen wie Langstreckenlauf oder Radsport, aber auch Sportarten mit Gewichtsklassen wie Ringen oder Boxen sowie solche mit körperbetonter Kleidung wie Beachvolleyball oder Schwimmen.
Ätiologie und Risikofaktoren
Bei der Erkundung der Ursachen der hohen Prävalenz zeigt sich eine multifaktorielle Ätiologie von Essstörungen im Leistungssport. Einige primäre Risikofaktoren stehen dabei im Vordergrund.
- Leistungsdruck: Die ständige Erwartung von Höchstleistungen kann zu dysfunktionalen Verhaltensweisen führen. Für eine Kunstturnerin bringt jedes Gramm weniger die Chance auf eine höhere Punktzahl.
- Sportartspezifische Anforderungen: Gerade in ästhetischen Sportarten wie Ballett, Turnen oder Eiskunstlauf spielt das Körpergewicht eine zentrale Rolle. Ein schlankes Erscheinungsbild wird oft als Voraussetzung für Spitzenleistungen angesehen.
- Körperideale: Die in der Gesellschaft verbreiteten Körperideale sind in gewissen Sportarten noch stärker ausgeprägt. Dies kann unrealistische Erwartungen an die eigene Körperform fördern und zusätzliche Stressfaktoren entstehen lassen.
- Trainingsumfeld: Regelmässige Gewichtskontrollen, eine leistungsorientierte Atmosphäre und der Druck von Trainern, Teamkollegen, Sponsoren oder anderen Beeinflussern können ein problematisches Essverhalten begünstigen.
- Persönlichkeitsmerkmale: Perfektionismus und eine ausgeprägte Leistungsorientierung sind bei vielen Leistungssportlern zu beobachten und gelten als prädisponierende Faktoren für Essstörungen.
Diagnostik und Behandlungsansätze
Wie können Therapeutinnen und Ärzte die betroffenen Athletinnen und Athleten unterstützen? Der erste Schritt ist eine sorgfältige, sportspezifische Diagnostik. Dabei bietet es sich an, standardisierte Screening-Instrumente wie den «Eating Disorder Examination Questionnaire» (EDE-Q) durch sportspezifische Assessments zu ergänzen.
Der interdisziplinäre und multimethodische Ansatz, der bei der Behandlung von Menschen mit Essstörungen generell zur Anwendung kommt, erhält im Spitzensport eine weitere Dimension. Ein effektives Behandlungskonzept beinhaltet unterschiedliche Aspekte, darunter auch sportspezifische Themen.
- Psychotherapie
In der Regel wird eine kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt, um die zugrunde liegenden Gedankenmuster zu verändern. Spezialtherapien können die Behandlung gezielt ergänzen. - Integration
des sportlichen Umfelds Wichtig ist die Einbindung des sportlichen Umfelds, also von Trainern, Teammitgliedern und sportmedizinischen Fachkräften. Ziel ist es, eine gesunde Herangehensweise an Ernährung und Training zu erreichen. - Ernährungsberatung
Professionelle Ernährungsberaterinnen können den Athletinnen und Athleten helfen, ein gesundes und nachhaltiges Ernährungsverhalten wiederzuerlangen. - Psychoedukation
Die Aufklärung über die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Gewicht und sportlicher Leistung hilft Athleten, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Information und Prävention
In der Sportwelt, in der Leistung und Erfolge zählen, ist die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen wie Essstörungen mitunter noch stärker ausgeprägt als in der Allgemeinbevölkerung. Durch die Sensibilisierung und Information aller Beteiligten können Hürden abgebaut und dem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ausserdem können präventive Massnahmen dazu beitragen, die Entwicklung von Essstörungen im Leistungssport zu verhindern:
- Schulung und Regulierung
- Regelmässige Schulungen für Trainer und Betreuer zum Thema Essstörungen.
- Implementierung klarer Richtlinien zur Gewichtskontrolle und Ernährung im Trainingsalltag.
- Identifikation und Beratung
- Durchführung regelmässiger Screenings zur frühzeitigen Identifikation von Risiken.
- Bereitstellung niedrigschwelliger Beratungsangebote für Athletinnen und Athleten.
- Nachsorge und Monitoring
- Entwicklung von Rückkehrprotokollen für Athletinnen und Athleten nach der Behandlung einer Essstörung.
- Etablierung einer langfristigen Nachsorge und eines nachhaltigen Monitorings.
Sportsucht als komorbide Störung
In gewissen Fällen kann sich Sport zur Sucht entwickeln. So ist am Beispiel eines Marathonläufers das tägliche Training nicht mehr nur Vorbereitung, sondern Zwang. Selbst verletzt läuft er weiter, ignoriert die Schmerzen und die sozialen Entbehrungen. Die Sportsucht, auch als Exercise Addiction bekannt, weist eine hohe Komorbidität mit Essstörungen auf. Charakteristisch sind neben dem zwanghaften Trainingsverhalten trotz negativer Konsequenzen auch Entzugserscheinungen bei Trainingsunterbrechung sowie eine ausgeprägte Toleranzentwicklung bei Steigerung des Trainingsumfangs. Die Behandlung erfordert oft einen integrativen Ansatz, der sowohl die Essstörung als auch die Sportsucht adressiert.
Motivation zur Behandlung
Die Verbindungen von Leistungssport und Essstörungen standen auch im Fokus des letztjährigen Aadorfer Fachforums Psychotherapie in Zürich. In ihrem Referat ging Dr. med. Petra Dallmann, Chefärztin der Klinik Schloss Freudental sowie Psychotherapeutin am Olympiastützpunkt in Heidelberg, vertieft auf das Thema ein und machte dabei gerade auch betroffenen Sportlerinnen und Sportlern Mut, sich auf eine Behandlung einzulassen. Denn Psychotherapie, vor allem der verhaltenstherapeutische Teil davon, gleiche einem Training, das gerade Hochleistungsathleten bestens kennen und sich gut darauf einlassen können. «Sie kennen es aus dem Sport, ein Problem zu analysieren und Abläufe durch Üben zu verändern. In Bezug auf Motivation und Selbstwirksamkeitserleben kann das für die Psychotherapie hilfreich sein und bedeutet eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung.»
LADEN SIE SICH DAS VOLLSTÄNDIGE APROPOS NR. 27 - INKLUSIVE DIESES ARTIKELS - ALS PDF HERUNTER.
Sie haben Fragen oder brauchen Hilfe? WIR SIND FÜR SIE DA!
RUFEN SIE UNS AN
+41 52 368 88 88
SCHREIBEN SIE UNS
info(at)klinik-aadorf.ch