26. Oktober 2023, 13.30 Uhr
Casinotheater winterthur

Die Vielen Gesichter von Essstörungen

Rückschau

Das diesjährige Aadorfer Fachforum Psychotherapie in Winterthur war ein weiteres Mal sehr gut besucht. Die Referate von Prof. Dr. med. Gabriella Milos und Dr. phil. Yoan Mihov sowie die anschliessenden Workshops ermöglichten eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Essstörungen und deren Behandlung.

Die globale Verbreitung von Essstörungen hat von 1990 bis 2016 um 65 Prozent zugenommen (Erskine et al., 2016). Diese Entwicklung hat sich während der Covid-19-Pandemie offenbar noch verstärkt. Zwar fehlt es in der Schweiz an empirischen Daten zur Thematik, doch internationale Studien berichteten, dass es während der Pandemie zu einer Zunahme von neu aufgetretenen Essstörungen und einer Verschlechterung von bestehenden Essstörungen gekommen ist.

Doch wie sieht die Situation in Bezug auf Essstörungen konkret aus? Gibt es neue Erkenntnisse in der Ätiologie oder in der Behandlung von Erkrankungen wie Anorexie oder Binge-Eating-Störung? Derartige Fragen standen im Fokus des diesjährigen Aadorfer Fachforums Psychotherapie im Casinotheater Winterthur. Die beiden Hauptreferate von Prof. Dr. med. Gabriella Milos und Dr. phil. Yoan Mihov boten einen vertieften Einblick in die Thematik, während die Workshops die Gelegenheit eröffneten, sich mit einzelnen Aspekten im Detail auseinanderzusetzen.

Update zur Anorexia nervosa

Prof. Dr. med. Gabriella Milos vermittelte in ihrem Referat ein Update zum Wissens- und Forschungsstand bei der Anorexia nervosa. Eine wesentliche Entwicklung zeigt sich zweifellos in der Diagnosesystematik. Mit dem Inkrafttreten der neuen Fassung des International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-11) im Januar 2022 hat sich die Klassifikation und Diagnostik von «Essstörungen» im Vergleich zur ICD–10 wesentlich verändert. So entstand die Kategorie «Fütter- oder Essstörungen». Die Veränderung möchte das Kontinuum der Psychopathologie zwischen Kindheit, Adoleszenz und Erwachsenenalter bei diesen Krankheiten unterstreichen. Wenn bei der Anorexia nervosa alle Kriterien erfüllt sind, kann eine Diagnose mit einem höheren Gewicht (einem höheren BMI als mit dem ICD-10) vergeben werden. Dadurch lässt sich die Krankheit schneller diagnostizieren und somit auch schneller behandeln, was die Prognose positiv beeinflusst.

Neben der eindrucksvollen Schilderung eines Falls aus der Praxis ging Prof. Dr. med. Gabriella Milos auch darauf ein, warum Patientinnen mit Anorexia nervosa so schwierig zu behandeln sind. Untergewicht und Verzicht werden häufig als belohnend empfunden, der Versuch einer Verhaltensänderung wird als bedrohlich erlebt. Auch wollen Betroffene über Behandlungselemente verhandeln und die Therapie unter Kontrolle halten, was oft so weit geht, dass die Vermeidung der Behandlung zu einem wesentlichen Symptom der Krankheit wird. Im Hinblick auf die Therapie betonte Prof. Dr. med. Gabriella Milos die Wichtigkeit eines eigentlichen Schulterschlusses gegen die Krankheit, wobei es darum geht, die enge Verbindung zwischen Patientin und Krankheit zu schwächen und stattdessen eine starke Bindung zwischen Patientin und Behandlungsperson aufzubauen.

Besonderes Interesse löste auch die Erwähnung von Metreleptin aus. Das Medikament, das für die Behandlung der enorm seltenen Krankheit Lipodystrophie zugelassen ist, zeigte in ersten Versuchen erstaunliche Erfolge bei Menschen mit Anorexia nervosa. Ob sich das kostspielige Medikament tatsächlich für einen pharmakotherapeutischen Einsatz bei Anorexie eignet, müssen vertiefte Studien zeigen.

Binge-Eating-Störung: Von der Diagnostik bis zur Therapie

Dr. phil. Yoan Mihov berichtete in seinem Vortrag über Diagnostik, Epidemiologie, bio-psychosoziale Ätiologiemodelle und evidenzbasierte Behandlungsverfahren für die Binge-Eating-Störung (BES). Einer der Schwerpunkte in seinem Vortrag war die aktuelle S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Essstörungen. Er stellte das strukturierte Vorgehen im Rahmen der etablierten transdiagnostischen kognitiven Verhaltenstherapie für Essstörungen (CBT-E) sowie weitere evidenzbasierte Psychotherapieverfahren vor. Darüber hinaus berichtete er über aktuelle Erkenntnisse aus randomisierten kontrollierten Studien zur internetbasierten Psychotherapie für BES und Loss-of-control-Eating (LOC).

Aufgrund der hohen Komorbidität von BES und Adipositas berichtete Dr. phil. Yoan Mihov ergänzend über die Adipositas-Diagnostik sowie über leitliniengestützte Behandlungsoptionen. In diesem Zusammenhang stellte er aktuelle Entwicklungen in der Pharmakotherapie für Adipositas vor.

HerZlichen Dank allen Teilnehmenden!

Die Downloads der Referatsunterlagen finden Sie hier.
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